Fackenburger Allee: Die Probleme lassen sich nicht wegdiskutieren

Fürters Hintergrund
5 min readAug 19, 2022

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Ein Blumenkübel versperrt den alten Radweg

In meinem Hauptberuf bin ich es gewohnt, Problemstellungen von allen Seiten zu beleuchten und nicht einseitig zu betrachten. Deshalb die guten Nachrichten vorab: Der Verkehr auf der Fackenburger Allee ist nicht zusammengebrochen und die Stadt bemüht sich um Kommunikation.

Die guten Nachrichten

Mitte August 2022 führte die Verwaltung der Stadt Lübeck für die Mitglieder der Bürgerschaft und wenige andere Interessierte einen Ortstermin für den umstrittenen Verkehrsversuch an der Fackenburger Allee durch. An diesem Termin durfte ich teilnehmen. Die Strecke sollte, so hieß es in der Ankündigung, mit dem Rad “erfahrbar” gemacht werden. Meine vorab übermittelte Anregung, im Rahmen der Versuchstour auch eine “Erfahrbarkeit” mit dem Auto möglich zu machen, immerhin findet auf der Strecke deutlich mehr Autoverkehr als Radverkehr statt, wurde von Seiten der Stadt allerdings verworfen.

Dies ist die erste gute Nachricht: Die Stadt bemüht sich um Kommunikation. Der Projektleiter bei der Stadtverwaltung führte uns an diverse Brennpunkte der Versuchsstrecke. Dass der städtische Projektleiter neben seinem Hauptberuf für die Stadt auch als Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag von Ostholstein politisch aktiv ist, empfinde ich nicht als Hindernis. Ich weiß aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung, dass es möglich ist, die berufliche Tätigkeit von der ehrenamtlichen kommunalpolitischen Arbeit zu trennen.

Die zweite gute Nachricht: Der Verkehr fließt einigermaßen. Ich persönlich habe die Strecke in den vergangen Wochen mit diversen Verkehrsmitteln mehrfach absolviert. Sie liegt auf meinem Weg zum Arbeitsplatz. Wer das Ziel hat, die Fackenburger Allee in einem Zug zu durchfahren, kommt (so meine Beobachtung bisher) einigermaßen durch. Einen nennenswerter Zeitverlust habe ich nicht beobachtet.

Damit hören die guten Nachrichten allerdings auch schon wieder auf. Die Probleme liegen an anderer Stelle und die Tendenz, sie herunterzuspielen, relativiert das eingangs gelobte Bemühen um Kommunikation.

Problem 1: Die Gefährdung des Radverkehrs

Der Radverkehr wird jetzt auf der Fahrbahn geführt und zwar auf einer Spur gemeinsam mit den Bussen. Dass es für einige Radfahrer nicht angenehm ist, einen schweren Gelenkbus im Nacken zu spüren, ist offenkundig. So offenkundig, dass die Stadt inzwischen an die Busunternehmen mit der Bitte herangetreten ist, die Busse mögen doch einen Mindestabstand von 10 Metern einhalten, wenn sie den Radfahrern auf der Busspur hinterherfahren. Bei unserer Versuchstour hielten sich allerdings viele Busse an diese Vorgabe nicht.

Ich musste folgenden Fall beobachten: Eine Radfahrerin hielt an der roten Ampel der Kreuzung Fackenburger Allee / An der Lohmühle, geradeaus auf dem Weg nach Stockelsdorf. Von hinten näherte sich ein Bus auf der Rad-/Busspur. Die Ampel sprang auf Grün, die Radfahrerin fuhr los. Der nachfolgende Bus fuhr extrem nah an sie heran, ich schätze bis auf einen, höchstens zwei Meter und schwenkte dann in letzter Sekunde nach links auf die andere Spur aus, auf der glücklicherweise zu jenem Zeitpunkt keine Autos fuhren. Der Überholvorgang des Busses war erfolgreich. Ob die Radfahrerin den Vorgang als angenehm oder unangenehm empfand, kann ich mir nur denken.

Ebendiese Kreuzung birgt in meinen Augen für Radfahrer das größte Unfallpotenzial. Sie dient dem Fahrzeugverkehr zum Abbiegen nach rechts um auf die Autobahn zu gelangen. Hierfür müssen Fahrzeuge, unter ihnen auch schwere LKW, die Rad-/Busspur kreuzen. Solange die Fahrzeugführer vorsichtig sind, vor dem Spurwechsel etwa den gesetzlich vorgeschriebenen Schulterblick ausüben, wird nichts passieren. Ich weiß aber aufgrund meines beruflichen Hintergrundes, dass Fahrzeugführern leider auch Fehler unterlaufen. An dieser konkreten Stelle wäre ein Radfahrer einem schnellen, unachtsamen Spurwechsler fast schutzlos ausgeliefert. Ich wünsche mir inständig, dass es während des Verkehrsversuchs zu einem solchen Unfall nicht kommt.

Problem 2: Die Zielverkehre

Eingangs hatte ich ausgeführt, dass der Verkehr für diejenigen, die die Fackenburger Allee von einem Ende zum anderen durchfahren, einigermaßen flüssig verläuft. Dies wird im Wesentlichen dadurch erreicht, dass das Linksabbiegen, das sonst zu einer Stauung des nachfolgenden Verkehrs führen könnte, nur noch an wenigen Stellen gestattet ist.

Der Nachteil liegt auf der Hand: Die Verkehre werden länger. Wer ein Ziel erreichen will, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Fahrtrichtung liegt, hat an vielen Stellen nur die Wahl entweder das Linksabbiegeverbot zu missachten (was ich nicht gutheiße, um das klarzustellen) oder längere Umwege in Kauf zu nehmen und hierbei Strecken zu nutzen, die ohnehin stark von Verkehr belastet sind, zB den Lindenteller. Gerade an der Fackenburger Allee sind dazu noch überdurchschnittlich viele Unternehmen ansässig, die klassischerweise individuelle Mobilität anziehen (Tankstellen, Supermärkte, Lieferserviceanbieter, Autovermietungen etc.). Daher ist diese Straße für solche Linksabbiegebeschränkungen denkbar ungeeignet.

Die Antwort der Stadt, die auf eine fortbestehende Erreichbarkeit auf verschachtelten Wegen, zum Teil durch Wohngebiete, hinweist, verkennt meines Erachtens die Realitäten im Straßenverkehr.

Problem 3: Der ideologische Überschwang

Die Stadt gab sich alle Mühe zu erklären, dass der Verkehrsversuch kein ideologisches Projekt sei. Mich überzeugt das nicht. Bereits der Ansatz, eine solche Befahrung für die Kommunalpolitiker nur mit dem Fahrrad anzubieten, zeigt mir, dass es nicht darum geht, die Interessen aller Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt zu berücksichtigen.

Aber auch Radfahrer müssen im Zweifel zurückstehen, um der Ideologie zum Durchbruch zu verhelfen. Das wird an der Weigerung der Stadt deutlich, den vorhandenen Radweg wieder zur freiwilligen Benutzung für die Radverkehr freizugeben. Die Fraktion der Unabhängigen und der Kreisvorstand der FDP hatten diese Forderung erhoben.

Disclaimer: Der Verfasser ist Mitglied der FDP

Der Projektleiter der Stadt trat diesem Vorschlag entgegen unter Verweis auf eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Die einzige Entscheidung, die dazu thematisch halbwegs passt, ist eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2010. Allerdings lässt sich hieraus kein Verbot ableiten, den vorhandenen alten Radweg wieder zur freiwilligen Benutzung freizugeben. Denn erstens ging es in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts um einen Weg außerhalb geschlossener Ortschaften, während hier ein innerörtlicher Straßenzug betroffen ist. Und zweitens wehrte sich in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall ein Radfahrer gegen eine Radwegbenutzungspflicht. Wenn Radfahrer die freie Auswahl bekommen, entweder auf der Fahrbahn oder auf dem Radweg zu fahren, ist dies das komplette Gegenteil der im Urteil behandelten Radwegbenutzungspflicht.

Die Wahrheit ist: Obwohl es verboten ist und durch Blumenkübel behindert wird, nutzen aktuell immer noch ca. 30 Prozent der Radfahrer den alten Radweg und fahren nicht auf der Fahrbahn. Mein Eindruck dazu: Die Stadt befürchtet, wenn sie Radfahrern die Wahl eröffnet, ob diese den Radweg oder die Fahrbahn benutzen, dann würde kaum ein Rad die Straße wählen. Der Verkehrsversuch wäre als überflüssig entlarvt. Das ist nicht gewollt. Und das ist dann in meinen ideologisch.

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Fürters Hintergrund

Thorsten Fürter (53) hat Jura und Journalismus studiert. Er ist Mitglied der Lübecker Bürgerschaft und arbeit als Richter am Oberlandesgericht in Schleswig.