Die Analyse: Was das GroKo-Aus für Lübeck bedeutet

Fürters Hintergrund
3 min readJan 27, 2023

Die Wahlperiode steht vor dem Ende, denn im Mai 2023 wird die Bürgerschaft neu gewählt. Das könnte dazu verleiten, den Koalitionsbruch durch die SPD bei der Wahl des Bausenators achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Das wäre freilich ein Irrtum. Denn die Januarsitzung der Bürgerschaft wird die folgenreichste seit langer Zeit sein. Jan Lindenau sonnt sich im Erfolg des gut organisierten Wahlgangs. Aber sein Sieg könnte sich als Pyrrhussieg herausstellen.

Die CDU steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik

Die CDU ist der offensichtliche Verlierer dieser Auseinandersetzung um die Wahl des Bausenators. Sie hat mit Jörg Sellerbeck einen respektablen Kandidaten, der auch bei anderen Fraktionen Anerkennung genießt, für die Wahl nominiert. Es war eine geheime Wahl, aber wenn man eins und eins zusammenzählt, ist der Ausgang der Wiederwahl von Bausenatorin Joanna Hagen nur so zu erklären, dass die SPD geschlossen und konzentriert für Frau Hagen gestimmt und ihre Wiederwahl organisiert hat. Das ist ein glatter Bruch der Kooperationsvereinbarung mit der CDU, in der die SPD ihrem Ex-Partner das Vorschlagsrecht für den Posten inklusive Zusage der Unterstützung der Nominierung zugesagt hat. Die ersten öffentlichen Statements aus den Reihen der SPD, die auf mögliche Abweichler in der CDU hinweisen, kann man getrost ins Reich der Legenden schicken. Sie SPD behauptet selbst nicht, dass sie (wie im Kooperationsvertrag zugesichert) geschlossen für den CDU-Vorschlag gestimmt hat. Dieser Bruch durch die SPD erfolgte, ohne ihn zuvor wenigstens gegenüber dem Partner in bis dahin ungekündigter Beziehung klar zu kommunizieren. Diese Lehre wird die CDU so schnell nicht vergessen.

Trotzdem wird es der CDU schwerfallen, diesen offenkundigen Vertrauensbruch in einen Erfolg bei der Wahl umzumünzen. Denn zu sehr hatte sie in den vergangenen Jahre auf ihre Rolle als Stabilitätsanker in der Lübecker Politik gesetzt. Jetzt, kurz bevor sie mit dieser Geschichte vor die Wähler treten wollte, haben ihr Bürgermeister und SPD die Erzählung aus der Hand geschlagen.

Das Erfolgsmodell der Lindenau’schen Bürgermeisterschaft ist bedroht

Bürgermeister Jan Lindenau ist zugute zu halten, dass er sich (anders als die SPD-Fraktion) vor der Wahl öffentlich und klar für eine Wiederwahl von Joanna Hagen als Bausenatorin ausgesprochen hatte. Aber wer ihn als ungetrübten Sieger dieser Auseinandersetzung sieht, springt zu kurz. Kurzfristig gesehen war seine Strategie erfolgreich, aber langfristig bedroht das Scheitern der GroKo seinen Erfolg als Bürgermeister.

Denn auch wenn es hier und da Hakeleien gab: Die GroKo hat die Stadt in den vergangenen Jahren einigermaßen verlässlich und mit einer summa summarum gemäßigten Politik regiert. Alternativen für eine stabile Mehrheit in der Bürgerschaft sind nun nirgendwo in Sicht. Eine wie immer geartete rot-grüne Zusammenarbeit ist nicht möglich. Dies liegt an der Unverträglichkeit der handelnden Personen. Die offenen persönlichen Anfeindungen mit denen sich Vertreter von Grünen und SPD in der Bürgerschaft immer wieder überziehen, machen eine gedeihliche Bündnisarbeit unvorstellbar. Ob CDU, Grüne zusammen mit anderen durch die anstehende Wahl stark genug werden, um dem ein Bündnis ohne SPD entgegen zu setzen, ist völlig offen. Jedenfalls würde es für Jan Lindenau auch mit einem solchen Bündnis nicht annähernd so gemütlich wie zu GroKo-Zeiten.

Der heimliche Gewinner: Linke Rathauspolitik

Linke Politikrezepte sind der heimliche und eigentliche Gewinner dieser Wahl. Denn die Bürgerschaft tickt in ihrer Mehrheit inhaltlich schon lange links. Diese Mehrheit kam aber aufgrund der GroKo nicht zum Tragen. Auch wenn die CDU sich Stimmenzuwächse bei der Bürgerschaftswahl im Mai infolge ihre Siegs bei der Landtagswahl erhofft: Eine “bürgerliche Mehrheit” scheint in weiter Ferne und solche Mehrheiten sind in norddeutschen Großstädten ohnehin rar geworden. Bereits in der Januar-Sitzung wurden erste Vorboten sichtbar, welche Konsequenzen eine linkere Rathauspolitik hat. Und wie sie dem Bürgermeister Probleme bereiten wird.

Da ist der Beschluss der Bürgerschaft, künftig 2,7 Millionen Euro zusätzlich für Zuschüsse für das Kita-Essen bereitzustellen. Bürgermeister und Kultursenatorin Frank argumentierten in der Sitzung dagegen, aber die Bürgerschaft setzte den Beschluss trotzdem durch. Ein weiteres Beispiel: Trotz der Warnungen des Bürgermeisters, dass eine Übernahme des Marienkrankenhauses durch die Stadt in der Sache nichts helfen wird, hat eine Mehrheit der Bürgerschaft ihn beauftragt, diese Option zu prüfen. In einer Zeit, in der immer mehr Kreise und Städte ihre Krankenhäuser loswerden, wäre die Neugründung eines “Städtischen Krankenhaus Lübeck” ein absoluter Anachronismus. Jan Lindenau hat immer den Spagat gewagt, zwischen etwas linker Rhetorik hier und da, aber verbunden mit einer im Kern soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die linke Mehrheit in der Bürgerschaft wird ihm auf diesem Weg noch häufiger die Gefolgschaft verweigern.

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Fürters Hintergrund

Thorsten Fürter (53) hat Jura und Journalismus studiert. Er ist Mitglied der Lübecker Bürgerschaft und arbeit als Richter am Oberlandesgericht in Schleswig.